Buy more Apple – Kauft mehr Apfel!


Von Tristan Ludwigkeit

Im Jahr 2015 fügte das Unternehmen Apple seiner Produktpalette eine weitere Neuerung hinzu: die Apple Watch. Die Umsatzzahlen der sogenannten „Wearables“ des von Tim Cook geführten Unternehmens sind nicht nur stetig steigend, sondern übersteigen seit Jahren regelmäßig auch die von Macs und Macbooks.[1] Das Unternehmen, das einst mit der Herstellung von Computern begann, gilt spätestens seit 2017 als weltweit größter Uhrenhersteller.[2]

Die aktuellen Versionen der Apple Watch verfügen unter anderem über einen Pulsmesser, ein Elektrokardiogramm (EKG) sowie eine Messung der Sauerstoffsättigung. Die Watch dient dabei als Verlängerung zur Health-App auf dem iPhone. Cook zeigte sich in einem bezüglich der Apple Watch euphorisch:

“On the healthcare, in particular, and sorta your wellbeing, this is an area that I believe, if you zoom out into the future, and you look back, and you ask the question, ‘What was Apple’s greatest contribution to mankind,’ it will be about health.”

Außerdem fördert Apple mit ihren Open-Source-Anwendungen ResearchKit und CareKit laut eigener Aussage die medizinische Forschung. Mit Apps, die auf CareKit basieren, können Pfleger:innen laut Firmenaussage beispielsweise digital das Wohlbefinden ihrer Patient:innen tracken und sogar Rehabiltationspläne über die App kommunizieren. Über das ResearchKit-Programm können Studienteilnehmer:innen für die medizinische Forschung generiert werden. Apple scheint ernst mit seinem Anspruch zu meinen.

Die Verkaufszahlen stimmen, doch werden Apples Health-Tech-Produkte im medizinischen Bereich eingesetzt? In Deutschland werden die durch derartige Apps gesammelten Gesundheitsdaten von medizinischen Einrichtungen wohl kaum genutzt. Verschiedene Landesgesetzgebungen erschweren aufgrund von Datenschutzbedenken die Verwendung. Stattdessen wird meist auf eigene Technik zurückgegriffen. Privaten User:innen wird in Deutschland empfohlen, über das DiGA-Verzeichnis[3] in puncto Datenschutz weniger bedenkliche App-Alternativen auszuwählen. In den USA und anderen Ländern mit weniger strengen Datenschutzgesetzen wird die Apple Watch im Gegensatz zum kleinen Absatzmarkt Deutschland schon in Krankenhäusern eingesetzt. Die Watch soll schon dabei geholfen haben, Tumorerkrankungen aufzuspüren.[4]

Ob die Apple Watch dem medizinischen Fachbereich hilft oder nicht, eines ist sicher: Apple bedient die Bedürfnisse des Mainstreams, nämlich den Drang, in einer hochkomplexen Welt einen gewissen Grad an Kontrolle zu verspüren, perfekt. Denn Fitness-Armbänder gibt es schon länger, sie waren aber vor einigen Jahren nur für Leistungssportler:innen, Sport-Freaks oder eben Anhänger:innen der Quantified-Self-Bewegung bestimmt. Mit der Apple Watch kreierte Apple ein Produkt, das die Kernfunktionen eines klassischen Fitness-Armbands beinhaltet, doch durch die Einbettung in Apples Daten-Ökosystem und durch das klassisch zeitlose Design zum massentauglichen Lifestyle-Produkt wurde.

Doch wird das Versprechen – einen großen, nein den größten Beitrag für die Menschheit durch Gesundheitsfeatures zu leisten – mit der Apple Watch oder der Health-App erfüllt? Dienen diese Apps unserer Gesundheit, oder doch nur unserem eigenen Kontrollbedürfnis?

Mir scheint, das Essen eines Apfels ist gesünder als Tracking durch die Apple Watch. Traurig, aber wahr: mit so einer platten These versuche ich, etwas Sinnvolles aus diesem Thema herauszukitzeln!  

Mit Hilfe der Resonanztheorie des deutschen Soziologen Hartmut Rosa lässt sich diese stumpfe These zumindest zum Teil belegen: Vereinfacht besagt die Resonanztheorie, dass der moderne Mensch unablässig versucht, die Welt in Reichweite zu bringen. Wir wollen uns die Welt verfügbar machen, mit ihr in Resonanz treten. Durch diesen Versuch kann es jedoch passieren, dass die Welt um uns herum stumm oder langweilig wird und das Gegenteil eintritt. Lebendigkeit entsteht nur aus der Akzeptanz des Unverfügbaren, so Rosa.

Wenn man die Resonanztheorie auf die Nutzung von Wearables oder Gesundheits-Apps bezieht, entstehen zwei offensichtliche Argumentationsfäden, die meine These untermauern:

Erstens: Mit Hilfe von Gesundheitsapps versuchen wir, unser eigenes, hochkomplexes gesundheitliches Wohlbefinden durch Quantifizierung verfügbar zu machen. Vor einigen Jahren noch haben wir nur durch medizinisches Fachpersonal Einsicht auf detaillierte gesundheitsbezogene Daten bekommen. Neu ist, dass Wearables ausgewählte Daten dauerhaft für uns verfügbar machen. Meiner Meinung nach und der Theorie Rosas folgend, rückt mit dem Versuch, unsere Gesundheit stärker zu kontrollieren, diese nur in weitere Ferne. Denn Gesundheitsapps können uns ein falsches Gefühl unserer eigenen Gesundheit vermitteln. Ein Beispiel: In der Health-App wie auch in anderen Apps lässt sich über den Tagesschrittzähler ein Ziel definieren. Zum Trend ist die 10.000-Schritte-Challenge geworden. Sobald 10.000 Schritte erreicht wurden, meldet sich die App lobend per Push-Benachrichtigung. Wir wiegen uns fortan in dem Gefühl, uns heute bewegt zu haben. Nicht falsch verstehen, diese Funktion kann überaus nützlich und motivierend sein. Doch laut der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention sollten neben den 10.000 Schritten eben auch noch etwa 150 Minuten zusätzliche Bewegung in der Woche erfolgen.[5] Das sagt einem die App dann natürlich nicht, sie lässt uns in dem falschen Befriedungsgefühl, heute genug für unseren Körper getan zu haben. So entfernen wir uns womöglich von dem Ziel, körperlich gesünder zu werden, da wir nur so viel bewegen, wie uns dieses kleine Gerät sagt.

Zweitens: Unsere Gesundheit bildet sich nicht nur aus quantifizierbaren Metriken wie einem optimalen Puls, sondern ebenso aus der Qualität unserer sozialen Beziehungen, aus unserer psychischen Gesundheit sowie aus vielen weiteren Faktoren. Unser gesundheitliches Wohlbefinden ist komplexer als die wenigen Daten, die uns Apps über unseren Schlaf, unseren Puls oder unsere sportliche Leistung mitteilen. Ein gesundheitswissenschaftliches Modell von Dahlegreen und Whitehead (1991), das sich Determinanten der Gesundheit nennt, bringt diese Faktoren in Relation zu anderen Faktoren, die von uns oft nicht beeinflussbar sind: Unsere Erbanlagen, das Geschlecht, die Lebensbedingungen unserer unmittelbaren Umgebung, Arbeitsbedingungen oder auch allgemeine Umweltbedingungen wie unsere Luftqualität. Die wenigen Werte, die von Wearables gemessen werden, sind zwar wichtig, aber stellen eben auch nur einen kleinen Ausschnitt der unsere Gesundheit betreffenden Parameter dar. Problematisch kann sein, dass Gesundheitsapps und Wearables dafür sorgen, dass sich die Wahrnehmung unserer eigenen Gesundheit womöglich verzerrt. Gemessene Werte rücken in den Vorder-, und andere ebenso wichtige, jedoch nicht durch Wearables quantifizierbare Faktoren in den Hintergrund. Auch so entfernen wir uns womöglich von dem Ziel, gesünder zu werden, obwohl wir paradoxerweise ja genau das Gegenteil intendiert haben. Das Ganze könnte sogar krank machen: Eine krampfhafte Fokussierung auf Zahlen wie Kilokalorien oder Tagesschritte kann zu Essstörungen – beispielsweise zu Magersucht – führen.

Die Gesundheitsfunktionen von Apps oder Smartwatches verhindern also womöglich einen intuitiven Zugang zu unserer Gesundheit. Damit meine ich von außen unverzerrte Bewegungs- und Ernährungsroutinen, welche für unsere langfristige Gesundheit wichtig wären. Wearables übertünchen jedes Verlangen uns selbst über das durch die App vorgegebene Ziel hinaus zu bewegen.

Nach Rosas Theorie sind wir also trotz des Versuches der Verfügbarmachung weniger in Resonanz mit unserer Gesundheit. Wir können uns nach Rosa nur in der Akzeptanz des Unverfügbaren üben. Für viele ist die Nutzung von Wearables natürlich genau das richtige Mittel, denn die Uhr kann zu einem gesunden Leben motivieren. Dennoch verfehlt Apple sein formuliertes Ziel – the greatest contribution to mankind – bei weitem, da die Uhr eben auf viele Menschen auch negative Auswirkungen hat. In unserer Gesellschaft ist es notwendig, Gesundheit ganzheitlich zu denken. Dabei hilft kaum eine Uhr eines reichen Unternehmens, welches schlicht darauf aus ist, noch reicher zu werden.

Ich bleibe bei meiner These und hoffe, ihr könnt dieser etwas abgewinnen: An Apple a day keeps the doctor away.


[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/327274/umfrage/quartalsumsatz-von-apple-nach-produktgruppe/#:~:text=Apple%20Inc.,%2C9%20Milliarden%20US%2DDollar

[2] https://t3n.de/news/18-millionen-apple-watches-939775/

[3] Das Verzeichnis für digitales Gesundheitsanwendungen (DiGA) wird vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte verwaltet.

[4] https://www.cbsnews.com/boston/news/apple-watch-helps-diagnose-deadly-tumor-save-maine-womans-life/

[5] https://www.aok.de/pk/magazin/sport/workout/10000-schritte-am-tag-wie-gesund-ist-das-taegliche-gehen/

Hinweis
Die Beiträge in diesem Blog sind Angebote einzelner Hochschulmitglieder. Sie geben nicht die offizielle Haltung der Europa-Universität Flensburg wieder.