ChatGPT im Bildungsbereich: Auf der Suche nach den richtigen Fragen


von Tristan Ludwigkeit

Lesedauer: 5 Minuten

Seit der Veröffentlichung von ChatGPT sind keine zwei Monate vergangen und dennoch ist in den letzten Wochen eine Vielzahl an Artikeln und Beiträgen veröffentlicht worden, die schnelle Antworten über den Sinn oder Unsinn von ChatGPT formuliert haben. Aus medienhistorischer Perspektive brauchte es oft Zeit, bis wir Menschen den eigentlichen Zweck eines bestimmten Mediums erkannt haben: Beim Radio stellte sich erst etwa 40 Jahre nach dessen Erfindung der eigentliche Nutzen als Unterhaltungs- und Informationsmediums ein, während kurz nach Erfindung Anfang des 20. Jahrhunderts noch an eine rein militärische Nutzung als Informationsübermittler gedacht wurde.[1] Um ChatGPT zu verstehen, braucht es also zunächst Fragen: OpenAI ist ein gewinnorientiertes Unternehmen – was passiert mit den von uns dort eingegebenen Daten?[2] Maschinelles Lernen sowie Künstliche Intelligenz sind für viele Menschen Begriffe, unter denen sie sich nur vage etwas vorstellen können. Wie genau funktioniert und operiert ein generatives Sprachmodell wie GPT-3.5 – die technische Basis von ChatGPT – eigentlich? Welche Implikationen haben Antworten zu diesen Fragen auf den Bildungsbereich?

Verbot vs. Nutzung

In deutschen Bildungseinrichtungen wird derzeit darüber nachgedacht, welches Potenzial und welche Risiken von ChatGPT für die Lehre ausgehen. Durch die Gefahr von Plagiaten und Täuschung spielt dabei auch der Umgang mit Prüfungen eine Rolle. Die New Yorker Schulbehörde sperrte den Zugang zu ChatGPT bereits auf ihren Netzwerken.

Doch „ChatGPT ist erst der Anfang[3] dessen, worauf sich bildungspolitische Entscheidungstragende als auch Lehrer und Lehrerinnen in den nächsten Jahren einstellen dürfen und eben nur ein Zwischenschritt der technischen Entwicklung textgenerierender Sprachmodelle. Denn OpenAI wird eine neue, wahrscheinlich leistungsstärkere Version ihres generativen Sprachmodells – auf GPT-3.5 folgt GPT-4 – voraussichtlich noch in diesem Jahr vorstellen.

Nach der Vorstellung des elektronischen Taschenrechners wurden in der BRD und DDR ähnliche Diskussionen über Verbot oder Zulassung an Schulen geführt. 1975 wurde der Taschenrechner schließlich in ersten Schulen der BRD erlaubt, das lernförderliche Potential wurde erkannt. Heute ist dieser unverzichtbares Hilfsinstrument jeder Abiturprüfung im Fach Mathematik. Und auch das Web hatte vor einigen Jahren einen schweren Stand an deutschen Schulen, bis es sich während der Corona-Pandemie als unverzichtbar zeigte.

Im Gegensatz zum Taschenrechner vor 50 Jahren ist das Web für (fast) alle verfügbar. Einige Schüler:innen als auch Studierende nutzen den Chatbot vermutlich jetzt schon. Deswegen offenbaren Verbote meiner Meinung nach ein Bildungssystem, welches angstvoll auf der Stelle tritt. Wir sollten es eher es mit dem Digitalitätsexperten und Lehrer Hendrik Haverkamp halten, der auf Twitter schrieb: Wer bei einem Chatbot nur noch an einen Cheatbot denkt, verschenkt die lernförderlichen Potenziale dieser KI-Tools.“ Statt ChatGPT zu verbieten, sollte also über das bildungsbezogene Potenzial nachgedacht werden.[4] So wie Doris Weßels, Professorin der Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel. Sie formuliert in ihren Thesen zum künftigen Einsatz von Chatbots in der Lehre folgendes: „KI-Chatbot-Systeme werden zum persönlichen Lernbegleiter und damit zu einem individualisierten Lern-Bot für die Lernenden.“ Diese These erscheint plausibel in Zeiten von Lehrkräftemangel und Lernindividualisierung.

Eine Frage ohne Antwort

Um nicht auf der Stelle zu treten, , möchte ich eine Frage stellen, die den (Un-)Sinn von ChatGPT zu erkennen versucht: Welche lernförderlichen Potenziale beinhalten Chatbots wie ChatGPT? Die Antwort auf diese Frage kenne ich nicht. Bis wir Gewissheit über den (Un-)Sinn von KI und Chatbots haben, sollten wir uns gedulden und uns darin üben, Fragen zu stellen – und im gemeinsamen Austausch über mögliche Antworten nachzudenken – ohne direkt eine Antwort zu finden.


Praxis-Werkstatt

Die FabricaDigitalis bietet am Freitag, den 27.01.23 eine Praxis-Werkstatt mit dem Titel „ChatGPT – Unter die Haube geschaut“ an. Der Informatikdidaktiker Uwe Neuhaus klärt dort über die technologische Perspektive von ChatGPT auf.


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Quellen

[1] Ähnlich liest sich auch die Geschichte des Computers: Zunächst wurde dieser im 2. Weltkrieg zu ballistischen Berechnungen eingesetzt. https://www.planet-wissen.de/technik/computer_und_roboter/geschichte_des_computers/pwiegrossrechner100.html

[2] Interessant hierzu: Eine Nutzerin pflegte Ausschnitte ihrer Tagebucheinträge in ChatGPT ein, die ca. 10 Jahre zurückreichen, um sich mit ihrem „inneren Selbst“ zu unterhalten. https://twitter.com/michellehuang42/status/1597005489413713921

[3] Die Publikationsplattform The Decoder schreibt in einem Artikel vom 07.01.23 ausführlich über die Zukunft von textgenerierenden Sprachmodellen sowie grundsätzlich über den Einsatz von Sprachmodellen in Bildungsprozessen. https://the-decoder.de/ki-in-der-bildung-chatgpt-ist-erst-der-anfang/

[4] Auch Kevin Roose von der New York Times spricht sich in einem Artikel vom 12.01.2023 gegen ein Verbot von ChatGPT an Schule aus. Er plädoyiert: „Teach with it.”

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