Frage ChatGPT nicht danach, eine 15-seitige Hausarbeit zu verfassen: Praxistipps für Studierende zum Umgang mit dem Chatbot


Von Tristan Ludwigkeit

Lesezeit: 10 Minuten

Hinweis
Die Beiträge in diesem Blog sind Angebote einzelner Hochschulmitglieder. Sie geben nicht die offizielle Haltung der Europa-Universität Flensburg wieder.

„Ein Freund hat mir erzählt, dass GPT seine Hausarbeit geschrieben hat.“ 

Diese Aussage entgegnete mir am Wochenende eine Freundin auf meine Meinung, dass sich mit ChatGPT unmöglich Hausarbeiten schreiben ließen. Behauptungen dieser Art habe ich in den letzten Wochen schon öfter gehört – begleitet durch die Frage, ob so etwas nicht auffliegen könnte. 

Nachdem ich mich vor Wochen schon auf die Suche nach den richtigen Fragen im Zusammenhang mit ChatGPT begeben habe, nehme ich nun den anwendungsbezogenen Nutzen für Studierende unter die Lupe: Kann ChatGPT wirklich eine Hausarbeit schreiben? Wenn nicht, wie kann uns das Tool dennoch bei studentischen Aufgaben helfen? Bevor ich versuche, diese Fragen zu beantworten, möchte ich eine Theorie erläutern, die bedeutend ist für mein Grundverständnis zur Nutzung von KI und Sprachmodellen wie ChatGPT. Wer sich nur für den anwendungsbezogenen Teil interessiert, kann den folgenden Absatz gerne überspringen.

Vom Aufzug bis zur KI: Wie wir mit unserer Umwelt denken

Die kognitionswissenschaftliche Theorie der „distributed cognitions“ beschreibt, dass Menschen Informationen nicht nur durch die eigene Gehirnleistung, sondern mit Hilfe der sozialen und materiellen Umwelt verarbeiten (Salomon, 1993). Unsere Umwelt stellt dabei fremde Kognitionen bereit. Dies lässt sich am Beispiel eines Aufzugs verdeutlichen: Die Tasten zur Auswahl des Stockwerks sind im Aufzug meist vertikal angeordnet, während die unterste Taste das am tiefsten gelegene und die oberste Taste das am höchsten gelegene Stockwerk ansteuert. Außerdem befindet sich auf den Tasten eine Beschriftung, welche kennzeichnet, um welches Stockwerk es sich handelt. Die Beschriftung und Anordnung der Tasten helfen uns, das richtige Stockwerk zu finden. Die Tasten stellen das dar, was als distribuierende Kognition bezeichnet werden kann. Die Theorie lässt sich auch auf andere Bestandteile unserer Umwelt anwenden: Auf jede Form von Kommunikation, welche durch Sprache und Gesprächspartner*innen ermöglicht wird, auf Bücher, bei denen die schreibende Person auf ein Alphabet und Sprache zur Formulierung sowie auf Kapitel und Seitenzahlen zur Orientierung zurückgreift, oder auf unser Verkehrssystem, in dem wir uns mit Hilfe von Ampeln und Schilder orientieren. KI-Systeme wie ChatGPT lassen sich auch mit der Theorie der distribuierenden Kognition verstehen. Die folgenden anwendungsbezogenen Hinweise konzentrieren sich nicht darauf, wie sich eine Hausarbeit von ChatGPT schreiben lässt, sondern wie wir mit Hilfe von ChatGPT Informationen verarbeiten können.

Die Grafik wurde mit dem OpenAI-Bildgenerator Dall-E erstellt.

Elf Tipps für Studierende

Die nun folgenden Tipps können dabei helfen, Studierenden ein besseres Verständnis davon zu geben, wie ChatGPT als Hilfsinstrument genutzt werden kann: 

Vorweg eine ganz konkrete Antwort auf die einleitende Frage dieses Artikels: FrageChatGPT nicht danach, eine 15-seitige Hausarbeit zu verfassen. Und falls du es doch versuchen solltest: Übernimm nie lange Textbestandteile von dem Chatbot oder füge sie ohne einen kritischen und hinterfragenden Blick in deine Hausarbeit ein. ChatGPT ist nämlich vor allem eins: Ein grandioser Schwafler, der gerne Unwahrheiten behauptet, damit der Text gut klingt. Der Chatbot erfindet beispielsweise wissenschaftliche Quellen und Zitate. Außerdem ist das Sprachmodell nach eigener Auskunft „nicht in der Lage, eine 15-seitige Hausarbeit zu verfassen, zumindest wenn man eine direkte Aufforderung stellt. Eine Hausarbeit ist schlicht zu lang, denn beim Verfassen von diesen müssen wir einen roten Faden einhalten und uns im Fazit auf Seite 15 noch daran erinnern, was wir auf Seite sieben geschrieben haben. Dieses, ich nenne es mal, Erinnerungsvermögen, hat der Chatbot rein technisch in dieser Dimension (noch) nicht. Aber probiert es selbst aus. Ich bin der Meinung: Wer einen gewissen Anspruch an sich selbst hat und nicht auffliegen möchte, sollte reines Copy & Paste lieber sein lassen. Nutzt ChatGPT eher, um die folgenden Tipps zu berücksichtigen:

Erstens: Sammle selbst Erfahrungen mit ChatGPT.

Bei der Nutzung von ChatGPT kann es schnell passieren, dass eine unerwünschte Antwort ausgegeben bzw. (in der Aufzugsmetapher gesprochen) das falsche Stockwerk angesteuert wird. Um dies zu vermeiden, sollte man verstehen, dass der Chatbot erst nach Aufforderungen (auch prompts genannt) Text ausgibt. Zunächst sind also wir an der Reihe, geeignete Aufforderungen für unser Anliegen zu formulieren. ChatGPT benötigt möglichst präzise Anweisungen, um zu verstehen, was es ausgeben soll. Falls die Textausgabe Unverständnis hervorruft, sollte zunächst die eigene Aufforderung nachgebessert und erneut gestellt werden. Um ein Gefühl für die Formulierung von Aufforderungen zu bekommen, hilft es, Erfahrungen mit dem Chatbot zu sammeln. 

Zweitens: Nutze ChatGPT nicht wie Google.

Just don’t!  Der Chatbot ist keine Suchmaschine und hat keinen Zugriff auf aktuelle Informationen aus dem Internet. GPT steht für generative pre-trained transformer, wobei vor allem der Begriff pre-trained wichtig ist: Denn bei dem Chatbot handelt es sich um ein Sprachmodell, welches durch Millionen von Textdaten vorab trainiert wurde. Die Trainingstexte sind im Falle von GPT 3.5 – dem Sprachmodell, welches ChatGPT nutzt – nicht aktueller als das Jahr 2021. In der Welt von ChatGPT lebt zum Beispiel Queen Elisabeth II. noch. Long live the Queen! (sorry)

Drittens: Nutze ChatGPT in englischer Sprache.

GPT wurde mit Textdaten aus dem anglo-amerikanischen Raum trainiert, weswegen die Ausgabe in englischer Sprache präziser als in deutscher Sprache ist. Die Nutzung in deutscher Sprache trägt die Gefahr in sich, dass Fachbegriffe falsch übersetzt werden. Durch die Nutzung in englischer Sprache weicht man einer potenziellen Fehlerquelle aus. Mit DeepL, einem kostenfreien KI-Übersetzungstool, kann der englische Text, falls notwendig, zurück übersetzt werden.

Viertens: Hinterfrage die Ausgabe von ChatGPT immer kritisch.

Don’t Copy & Paste! Kopiere nicht einfach Text von dem Chatbot. ChatGPT nutzt zur Textausgabe grob gesagt das nächstwahrscheinliche Wort, welches im Kontext mit den vorherigen Wörtern in dem riesigen Trainingsdatensatz auftritt. Deswegen klingen die Texte von ChatGPT zwar meist nach einem kohärenten Text, aber ob die Bedeutung der Sätze einen Sinn ergeben, sollte immer hinterfragt werden. 

Fünftens: Nutze den Chatbot für Erklärungen.

Hierfür stellst du zum Beispiel die Aufforderung: „Erkläre mir den folgenden Text in einfacher Sprache. Die Erklärung sollte so einfach sein, dass sie von einem 10-jährigen Kind verstanden werden kann. Der Text lautet: ‚…‘“. Ich habe mir von ChatGPT einen Abschnitt aus Kants Schrift zur reinen Vernunft erklären lassen. Puh, schwieriger Text… aber ich weiß nun, was a posteriori und a priori bedeutet (wofür auch immer ich das je brauchen werde… zumindest lässt sich ChatGPT nicht durch Erkenntnisse a priori verstehen). Wichtig ist, dass du den zu erklärenden Text versuchst, selbst in den Chatbot einzupflegen. Wenn du den Chatbot nach bekannten Theorien befragst, kann er dir diese aus dem Stegreif erklären, weil sie in seinem Traininingsdatensatz häufig auftauchen. Bei unbekannteren Theorien (z.B. aus dem deutschen Sprachraum) beginnt er aber zu schwafeln. Das Problem dabei: Du musst die Schwaflerei enttarnen. Deswegen: Bleibe immer kritisch, wenn dir der Chatbot einen Text liefert (siehe viertens).

Sechstens: Fasse Text mit Hilfe von ChatGPT zusammen.

Hierfür stellst du zum Beispiel die Aufforderung: „Filtere die Kernthesen aus dem folgenden Text heraus. Erkläre die Kernthesen. Der Text lautet: ‚…‘“ Wieder ist hier zu beachten, dass der Text bestenfalls von dir selbst eingefügt wird.

Siebtens: NutzeChatGPT zur Verfassung von Überschriften oder zur Synthese von Leitfragen.

Manchmal ist es beim Verfassen einer Hausarbeit oder eines Essays schwierig, für ein Kapitel oder einen Absatz eine geeignete Überschrift zu finden. Eine Aufforderung könnte sein: „Schlage mir für den folgenden Text verschiedene Überschriften vor. Der Text lautet: ‚…‘“ Du kannst auch versuchen, mit ChatGPT eine geeignete Fragestellung für deine Hausarbeit zu erarbeiten. Allerdings eignet sich das OpenSource-KI-Tool elicit viel besser zum Brainstorming von wissenschaftlichen Fragestellungen. Auf elicit kann eine Fragestellung auf Englisch eingegeben werden. Danach gibt elicit ähnliche Fragestellungen aus und gibt passend zur Fragestellung wissenschaftliche Literatur an.

Achtens: Unterlasse es, mit Hilfe von ChatGPT deine Texte auf Rechtschreibung zu korrigieren. 

Ich habe folgende Aufforderung ausprobiert: „Bitte überprüfe die Rechtschreibung des folgenden Texts. Überprüfe den Text auf Grundlage der deutschen Rechtschreibregeln. Markiere die Fehler und korrigiere sie. Hier der zu überprüfende Text: ‚…‘‘. Nachdem ich den Chatbot aufgefordert habe, den Artikel zu korrigieren, den du gerade liest, habe ich den korrigierten Text erneut vom Sprachmodell korrigieren lassen. Der Chatbot antwortete: „Der Text ist weitgehend korrekt. Es gibt jedoch einige Fehler.“ Anschließend gab der Chatbot mehr Fehler an als bei der ersten Korrektur des Textes, darunter viele Fehler, die keine sind. Beispiel: „In ‚Unverständnis‘ fehlt ein ‚s‘“. Also Vorsicht, das Gegenlesen bleibt uns insbesondere bei Hausarbeiten nicht erspart.

Neuntens: Nutze ChatGPT zur Erstellung von Karteikarten.

Dafür habe ich folgende Aufforderung benutzt: Schreibe Karteikarten ausfolgendem Text heraus: ‚…‘“ Ich habe mir Karteikarten zu einem Wikipedia-Artikel über David Hilbert (als ich diesen Artikel schrieb, war Hilberts achtzigster Todestag) erstellen lassen. Eine riesige Zeitersparnis. Wer nun digitale Karteikartenprogramme wie zum Beispiel Anki nutzt, kann die Karteikarten von ChatGPT auch gleich so formatieren, dass sich diese bestmöglich importieren lassen.

Zehntens: Nutze ChatGPT zur Erstellung von PowerPoint-Präsentationen.

Auch hier kann der Chatbot nicht direkt eine fertige Präsentation im PowerPoint-Format ausgeben, da ChatGPT keinen grafischen Output liefern kann. Aber der Chatbot kann aus einem Text die wichtigsten Erkenntnisse herausziehen und sie in Folien mit Überschrift und den wichtigsten Stichpunkten umwandeln. (Das Ganze ist eine Kombination aus sechstens und siebtens.) Hier die Aufforderung: „Erstelle eine Power-Point-Präsentation. Das Thema ist ‚…‘. Bitte erstelle eine Power-Point Präsentation, welche das Thema XYZ zusammenfasst. Ordne den Folien ein Thema zu. Gib auf jeder Folie max. 5 Stichpunkte an. Hier der Text, aus dem du die Informationen zum Thema ziehen kannst: ‚…‘“

Elftens: Nutze ChatGPT, um einen Überblick über ein Thema zu erlangen.

Zu gängigen gesellschaftlichen Themen (Voraussetzung: Sie werden in Texten des anglo-amerikanischen Raums beschrieben) kann ChatGPT einen guten ersten Überblick geben. Hier eine mögliche Aufforderung: „Erläutere Pro und Contra zu zivilem Ungehorsam.“ Die Ausgabe ist aber wie immer zu überprüfen und eben nur ein erster Überblick über eine Thematik.

Ich habe die zweite Frage dieses Artikels noch nicht beantwortet: Fällt die Nutzung auf? Die Antwort: Es kommt auf das Nutzungsverhalten an. Wenn ein reflektierter und stets kritischer Umgang mit KI-Tools wie ChatGPT erfolgt, sollte die Nutzung stets legal sein und unmöglich nachzuverfolgen sein. Bei reiner Nutzung à la Copy & Paste wird die Eigenständigkeitserklärung verletzt, die wir Studierende jeder Hausarbeit beifügen.

Diese Tipps basieren auf meiner Erfahrung mit ChatGPT. Studierende aus anderen Studienrichtungen nutzen den Chatbot möglicherweise ganz anders. Falls du selbst Erfahrungen mit ChatGPT gesammelt hast und diese beitragen möchtest, fühle dich herzlich eingeladen mit anderen Lehrenden und Studierenden in unserer FabricaDigitalis-Praxiswerkstatt am 24.02.2023 (bitte anmelden) in den gemeinsamen Austausch zu gehen. Ich würde mich sehr über dich freuen.

Quellen

Salomon, G. (Hrsg.). (1993). Distributed cognitions: Psychological and educational considerations (1st pbk. ed). Cambridge University Press.

Weitere Infos

Die Bildungsforscherin Nele Hirsch veröffentlichte erst kürzlich einen Blog-Artikel, in dem sie vorstellt, wie sie ChatGPT zum Lernen und Arbeiten nutzt.

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